Liebe Leser,
wohl kaum ein anderes Thema hat über die Jahrhunderte so viel Erfindungsreichtum und Raffinesse auf sich gezogen, wie das Ersinnen und Herstellen berauschender Getränke. Wobei die Produktion von Wein und Bier in allen möglichen Formen relativ einfach zu bewerkstelligen war und ist, während die eigentliche Königsklasse natürlich das „Brennen“ von Hochprozentigem darstellt; denn dieser Vorgang verlangt nicht nur eine gegenüber dem einfachen Gärungsverfahren wesentlich komplexere Technik, sondern auch sehr viel mehr Aufmerksamkeit und Sorgfalt bei Vorbereitung und Überwachung der Prozesse.
Noch einmal gesteigert werden die Ansprüche, wenn es nicht nur um einfache Brände, sondern um Spitzenprodukte der Destillierkunst geht. So haben sich in vielen Weltgegenden alkoholische Produkte entwickelt, die unter Verwendung landestypischer Agrarprodukte eine exquisite Qualität erreichen können. Vielerorts war an dieser Entwicklung nicht unmaßgeblich der Klerus beteiligt; denn Mönche hatten eher als andere Zeit, Muße und Phantasie genug, um über die Verfeinerung von Herstellungsverfahren nachzusinnen und ihre Ideen experimentell umzusetzen.
Zu den hoch qualitativen Bränden zählen neben den französischen Weinbränden Cognac und Armagnac, beides geschützte Herkunftsbezeichnungen, den Obstbränden vor allem aus dem alemannischen Raum, den edlen Grappas aus Norditalien auch edle Rumsorten aus der Karibik, mexikanischer Tequila und Mezcal, Wodkas aus Osteuropa, und natürlich der Whisk(e)y! Auffallend übrigens ist, dass sich die Schnapsbrennerei keineswegs auf allen Kontinenten gleichermaßen entwickelt hat. So ist originär Hochprozentiges aus Ostasien kaum bekannt, auch Australien hat wohl keine ursprüngliche Destilliertradition, und auch aus Afrika gibt es wenig bekannte Destillate. Insgesamt handelt es sich wohl um ein im Wesentlichen aus Europa exportiertes Phänomen.
Wenden wir uns im Speziellen dem Whisky und seiner Entstehungsgeschichte zu: Der Name taucht erstmals in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts als uisge beatha auf, was im Gälischen und ganz ähnlich im Irisch-Keltischen so viel bedeutet wie „Wasser des Lebens“. Die Kunst des Destillierens wurde wohl zunächst gebraucht, um Arzneimittel und Duftwässer herzustellen. Man darf getrost davon ausgehen, dass die weitere Anwendungsmöglichkeit des Verfahrens zur Herstellung von hochprozentigen Getränken in den Klöstern nicht nur entdeckt, sondern auch verfeinert wurde. Ob dies zuerst in Irland oder in Schottland geschah, darüber streiten die Gelehrten.
Jedenfalls wurde und wird zur Herstellung von Whisky Malz benötigt, welches ja auch für das Bierbrauen erforderlich ist. Dieses Rohprodukt entsteht, wenn gereinigtes Getreide – vorzugsweise Gerste, aber auch andere Sorten sind möglich – eingeweicht wird und keimt. Dadurch wird ein komplexer chemischer Umbauprozess in Gang gesetzt, an dessen Ende – nach etwa einer Woche – ein höherer Zuckeranteil im Malz steht. Nach fester Überzeugung von Whiskeyliebhabern und -produzenten kommt der Qualität des Wassers hierbei eine überragende Bedeutung zu, und das Wasser von Schottland ist unvergleichlich weich, weil es hier kein Kalkgestein gibt. Das Malz wird sodann sanft getrocknet und erneut gereinigt, indem die Keimlinge entfernt werden. Der Malzzucker wird nun mit heißem Wasser aus dem geschroteten Malz ausgewaschen, und die so gewonnene Flüssigkeit lässt man gären. Das nun entstehende bierartige Gebräu wird zweimal destilliert, die entstehende glasklare Flüssigkeit kommt in Eichenfässer, wo sie mindestens drei Jahre lang Reife und Farbe erlangt, und fertig ist der Whisky, der entweder als „Single Malt“ – also unverschnitten – oder „blended“ auf den Markt kommt. Auch in den USA wird Whisky hergestellt, das als „Bourbon“ angeboten und in der Regel aus Roggen, aber auch Weizen oder Mais destilliert wird.
Bleiben wir in Schottland, dem Mutterland der „Single Malts“! Allein hier gibt es sechs ausgewiesene Whisky-Regionen, welche alle ihre Besonderheiten haben: die Highlands, die Lowlands, Speyside, die Inseln, Islay und Campbeltown. Die aktivste von allen ist die Region Speyside mit mehr als 50 Brennereien, die ihren Namen vom Fluss Spey bezieht und sich folgerichtig an diesem entlang zieht. Die Mündung des Spey liegt am Moray Firth etwa 50 Kilometer östlich von Inverness. Wir wollen Ihnen den „Speyside Way“ vorstellen, eine Route entlang des Flusses Spey, in dessen Verlauf wir eine Reihe von Destillerien kennen und auf insgesamt neun Etappen den schottischen Whisky lieben lernen werden.
Dabei wünschen Ihnen viel Vergnügen
Ihr Peter von Agris und Michael Helbing